MICHAEL RAMSAUER




   
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Jürgen Schilling: Visionen

Inhalt und Form künstlerischer Aussage sind das Ergebnis jahrelanger – manchmal auch lebenslanger – Auseinandersetzung mit Malerei und Bildhauerei und dabei gemachten Erfahrungen. Im Umgang des Künstlers mit Leinwand, Papier oder plastischem Material und der Anwendung aller denkbar verfügbaren Hilfsmittel, entspinnt sich ein faszinierender, aufreibender Dialog, dessen Prozesshaftigkeit sich angesichts der Resultate nur erahnen lässt.

Michael Ramsauers Werk entwickelt sich aus der Farbe, deren elementaren Ausdruckswert er sich auf ganz individuelle Weise zunutze macht. Es lebt vom Zusammenwirken ihrer unzähligen Nuancen und Valeurs, ihrer Materialität und ihres Vermögens, Gefühle und Vorstellungen zu erwecken. Farben sind in der Lage, seelische Vorgänge zu repräsentieren und Stimmungen zu transponieren – wobei allerdings die Deutung der ihnen zugeschriebenen Symbolik zeitgebunden und je nach Kulturkreis völlig verschieden ausfällt. Auch wenn man Farblehren und psychologische Farbtheorien beiseite lässt, erschließt sich, dass der Effekt der Farbe sich abhängig von Beleuchtung und Lichtquelle entfaltet und zwar sowohl während der Entstehung eines Bildes als auch bei seiner Präsentation. Sie ist „die unendlich gestufte Bewegung von der Dunkelheit zur Helle und zurück in die Finsternis. Der ständig offene Konflikt zwischen den Polen des Hellen und Dunklen, zwischen den Flächen beschreibenden und raumsuggestiven, den physiologischen und psychologischen, den realen und allusiven Momenten der Farbe gibt erst den Stoff für die chromatische Operation auf der Leinwand.“ Zudem hängt die Atmosphäre eines jeden Bildes maßgeblich von der Art des Farbauftrages ab, der sich wandelt, je nachdem ob die Farbe geschüttet, gespachtelt, getupft, ob sie mit den Fingern, Pinseln, einer Bürste oder Malmessern auf die Fläche gebracht wird, welche Bindemittel Verwendung finden und ob die Textur lasierend oder pastos angelegt ist. Ramsauer weiß um diese seine Arbeit konditionierenden Vorgaben und Eigengesetzlichkeiten und bedient sich ihrer intuitiv und souverän; konsequent betreibt er die Loslösung der Farbe vom Gegenständlichen, ohne freilich auf die pointierte Inszenierung ihm darstellenswert erscheinender Sujets zu verzichten. Er lässt seine Farbströme Richtungen formulieren und differenzierte Binnenflächen konturieren, was bedeutet, dass er ihr Eigenschaften beimisst, die man sonst der Linie zuschreibt.

Michael Ramsauers Gemälde sind Ergebnis und Ausdruck seiner evidenten Haltung als Expressionist. Expressiv allerdings weniger im Sinne der Expressionisten der ersten Stunde, die das Ziel formulierten, die Realität von Naturerscheinungen zu deformieren, um Emotionen und Ideen mit krassen stilistischen Mitteln sichtbar zu machen. Vielmehr lässt Ramsauers Duktus Verwandtschaft mit sich in Folge und parallel zur Fauves- und Brücke-Kunst formierenden Strömungen erkennen, deren Protagonisten Passionen, Vitalität und Erregung des Malers beim Schaffensprozess in aus dem Farbfluss resultierende Verzerrungen und Eruptionen übersetzten. So unterschiedliche Charaktere wie Lovis Corinth, Ludwig Meidner, Chaim Soutine, Leon Kossoff oder Frank Auerbach stehen für die daran anschließenden Generationen, die expressionistische Werte modifizierten und mit peinture, malerischer Raffinesse, zu verschwägern verstanden. Ramsauers großzügige, entschiedene Pinselführung, die bis hin zur Immaterialität führende Handhabung des Kolorits und eine sich in Schwingungen übertragende Energie, eine Verve, die wie eine Projektion des Inneren wirkt, lassen einen solchen Vergleich zu. Zudem wird angesichts der hier ausgestellten Werke der Gedanke an die innovative und beispielhafte Rolle einiger Vertreter des amerikanischen Abstrakten Expressionisten wachgerufen. Hier wie dort transportiert und materialisiert ein impulsiver, gestischer Duktus Augenblickseingebung und physische Geste ins Bildgeschehen. Zusätzliche – wenngleich subtilere – expressive Momente fließen zusammen, wenn Ramsauer Farbe vermalt, seine Striche summiert und bündelt, bis sie sich in der Resonanz hektischer Bewegung und nervöser Spannung zu eigenständig agierenden Partien formen. Der Typus der raschen, pastos gestrichenen Niederschrift dynamisiert wiederum die Farbe; besonders auch, wenn die Palette auf einige wenige Töne reduziert wird, offenbart sich ihre sinnliche Intensität, vermittelt sie doch den Eindruck, das Wahrgenommene befände sich in oszillierender Bewegung. Das gilt vor allem gerade dann, wenn das Kolorit eingelagerter, verschwimmender Körperformen sich nur minimal von der farbigen Gestaltung des Räumlichkeit vorspiegelnden Grundes abhebt und – wie häufig bei Ramsauer – sich Gestalten zwischen sublimen Farbfeldern einfinden, deren schattenhafte Silhouetten das Bildmilieu ins Beklemmende, Drohende umschlagen lassen.

Die vehemente Pinselsetzung verwandelt klassische Motive in Experimentierfelder für eine freie Malerei. Deren abstrakt-informelle Grundbestandteile verstricken sich in eine impulsive, die Widerstände der Form überwindende und sie konterkarierende Auseinandersetzung. Dem Eindruck ungebremster Spontaneität zum Trotz folgt die Pinselsetzung einem Programm, einer individuell konzipierten Ordnung, „die für einen bestimmten Eindruck steht. Farbe durch Pinselsetzung auf Leinwand kann über die subjektive Wahrnehmung als nicht beliebige Realität Gestalt annehmen. […] Aus der Anordnung und Summe von Pinselstrichen wird etwas wahrnehmbar, was nicht vorgedacht wird, also nicht gestaltet ist, sich aber dennoch konkret und spezifisch einstellt.“ Ramsauer riskiert durch seine stürmischen Eingriffe, seinen Furor, das Handlungsfeld zu destabilisieren und muss ständig bemüht sein, die Komposition im Lot zu halten. So umkreist er aufmerksam sein bildnerisches Ziel, tastet sich heran, indem er durch stete korrigierende Eingriffe und klärende Abänderungen Einfluss nimmt, bis das Resultat seinen Vorstellungen entspricht. Das Ringen um Form und Aussage spiegelt sich in den Spuren dieser Bearbeitung, die bruchlos mit vorgegebenen Texturen verschmelzen, die ja ohnehin den prozesshaften Charakter der Malerei Ramsauers thematisieren.

Landschaft, Stillleben oder Figurenbild sind als solche erfahrbar, ohne dass die Absicht bestünde, Episoden oder Situationen mimetisch abzubilden. Umso eindringlicher verspürt man den Willen des Künstlers, verborgene Wesenszüge seiner Motive aufzuspüren und aus den reliefartig in wechselnden Richtungen ineinander verschobenen Farbmassen im Umfeld eines der Realität entrissenen Kerns auszuarbeiten – oder er lässt ihn, seiner Identität beinahe beraubt, über die Leinwand irren. Dominierende Formungen erscheinen zerfetzt und wenn er, auf den ihm sonst so bedeutsamen farbigen Grund verzichtend und der leeren Fläche einen starken Anteil an der Komposition überlassend, schwarze gestische Strukturen auf die weiß belassene Leinwand spachtelt, steigert er diesen Eindruck und findet zu neuen, kompromisslosen Lösungen. Die Entscheidung für Schwarz, die Nichtfarbe, die in der Kunst des 20. Jahrhunderts vorwiegend in der abstrakten Kunst eine Rolle spielte, weil sie naturnahe Abbildung auszuschließen schien, überrascht nur, wenn man den grundsätzlich pathetischen Klang Ramsauers Kunst außer acht lässt, denn Schwarz steht nicht allein für Bedrohung, Verweigerung, Numinoses, sondern wirkt auch von sich aus gewichtig und dramatisch. Achim Sommer beschreibt diese Bilder Ramsauers als extreme Reduktionen, „denn er formuliert nur bruchstückhafte auseinander treibende Formfetzen, die zäh geronnen auf der Leinwand zu schweben scheinen. Was zunächst ungegenständlich anmutet, animiert dann aber den Betrachter, menschliche Gestalten und Landschaftselemente zu entziffern und ergänzend hineinzusehen. Es bedarf einer präzisen Vorstellungskraft, diese eigenwilligen Kompositionen im spannungsreichen Wechselspiel von spontaner Formsetzung und kalkulierter Auslassung zu steuern.“ Die reliefartig spontan auf den Malgrund gepackte Materie, Ausdruck eines frischen und unmittelbaren Einfalls, reflektiert das changierende Licht auf jedem vom Maler gesetzten Zug und lässt Helligkeitswerte der Textur aus sich heraus schimmern. Motiv und Schatten ergänzen sich zu explosiven Formationen, die ohne Halt über die Leinwände zu treiben scheinen. Die physisch erfahrbare malerische Aktion hinterlässt Spuren, die, weil man sich nicht sicher sein kann, ob man es mit berstenden oder unter Druck zusammen gefügten Fragmenten zu tun hat, an die theoretischen Erörterungen des Empedokles aus Agrigent um 450 v. Chr. denken lassen, der vom Entstehen organischen Lebens und des Menschen auf einer durch eine von Hass und Liebe, Anziehung und Abstoßung, verursachten chaotischen Wirbelwirkung der vier Grundelemente ausging. Dabei vereinigten sich ursprünglich unabhängig voneinander existierende Gliedmaßen und Organe im Urschlamm. Gerade in jenen Gemälden, bei denen sich Ramsauer auf sparsame, chiffrenhafte Zeichensetzungen beschränkt, offenbart sich eine immanente Annäherung an gegenstandsfreie Malerei, obschon gleichzeitig auch Akte entstehen, die in schwarzfarbiger Impastomalerei realistisch konturiert und durchmodelliert sind. Auch die von Barnett Newman geäußerte Vermutung, Künstler griffen zum Schwarz, wenn sie im Begriffe seien, Schlussstriche zu ziehen, um radikal neue Erfindungen und Erneuerungen durchzusetzen, trifft für Michael Ramsauer – im Gegensatz zu seinem Lehrer an der Bremer Hochschule, Jürgen Waller, der sich ganz der schwarzen Farbe verschrieben hat – nicht zu, denn er setzt im parallel entstehenden Werk weiterhin auf die Kraft der Farben, wie seine 2006 und 2007 gemalten furiosen Städtebilder und Landschaften beweisen.

Ramsauer vertraut auf die Kommunikation momentaner Eingebung und durchdachter Strategie, wenn er Vertrautes entfremdet, indem er es einem raschen visuellen Zugriff entzieht und es verrätselt, ohne narrative oder symbolische Assoziationen zu evozieren. Lediglich eine jüngere Bildfolge, bei denen Titel und angedeutete Handlungsabläufe auf mythologische Charaktere anspielen, macht bedingt eine Ausnahme, lässt sich aber auch als Spiel mit manierierten Formerfindungen barocker Meister erklären – Vorgefundenem – dessen Raumsauer sich bedient, um eigene Bildschöpfungen daraus zu entwickeln.

Nackte menschliche Körper werden beim Ausführen normaler Vorgänge wie Sitzen, Laufen, Gehen oder Schwimmen mit heftigen, schroffen Pinselstrichen erfasst und gleichzeitig in einen Bewegung und Auflösung bewirkenden Farbtaumel eingebettet. Die Akzentuierung stofflicher Qualitäten – etwa des Wassers beim phasenhaften Schwimmer-Zyklus – und das Ausloten der Möglichkeiten einer zunehmend reichen oder bis zur Monochromie reduzierten Palette bestimmt Ramsauers Arbeit aus den vergangenen Jahren. Seine Park- und Badeszenen leuchten aus sich heraus. Blau, Rot und, seltener, ein Grün in all ihren Varianten - mal düster, mal gedeckt-verhalten, mal triumphierend dominieren die Schilderung anonymer Menschengruppen, die sich an zentraler Stelle im Bildraum bewegen. Über mehrlagigem Grund ballen sich Farbströme, -schlieren und Abbreviaturen, formen Körper oder besser: deren Andeutung, denn im Augenblick ihrer Entstehung integrieren sie sich bereits übergangslos in das von wuchtigen Pinselschwüngen artikulierte Gesamtgefüge. Ihre theatralisch anmutenden Bewegungsabläufe und Gebärden behaupten sich als Chiffren und was unser kognitives Wissen als Köpfe und überdehnte Gliedmaßen ausmacht, fließt als malerisches Detail in ein Gesamtszenarium ein, dessen Kraft ihre Aggregatzustände verwandelt. Die Leichtigkeit der Pinselführung mit der manche Figur auf Bildern aus der jüngsten Zeit ausgeführt ist, erinnert an pompejanische Wandmalereien, wo definierende Konturen agierender Personen mit wenigen Strichen und Farbtupfern skizzenhaft über gestaltete Landschaftsräume gesetzt wurden, so dass ihre transparenten Silhouetten den Eindruck anmutigen Schwebens vermitteln.

Figurative, einen Bildinhalt suggerierende Elemente unterwerfen sich der Farbe nie völlig, sondern finden ein konstruktives Verhältnis zu ihr, indem sie sich in einem Bildraum ohne solides Vorne und Hinten durchdringen und ergänzen. Aus einem als mobil empfundenen, dionysischen Tumult farbiger Strukturen formt sich die Erscheinung. Ambivalent teilen sich Figur und Landschaftliches, Leiber, Himmel, Stadt, Meer und Horizont sowohl optisch als auch emotional mit, jedoch ohne dass Form-Staffagen sich in den Vordergrund der Kulisse drängten; vielmehr funktionieren sie als Adern und Lebenslinien äußerst vitaler Bildkörper. Ramsauers magisch kontaminierte Räume implizieren einen von Temperament und Affekt gesättigten atmosphärischen Kolorismus, der sich direkt mitteilt und den Betrachter in den Bann eines massiven, ja bedrängenden Auftritts turbulent interagierender Materie, Form und Farbe zieht.



Klaus Jürgen-Fischer, Komplexe Farbe, Dépliant zur Ausstellung „Komplexe Farbe“, Galerie Anna Roepcke,
Wiesbaden 1962
Ingo Mell, Öl auf Leinwand, Köln 1996, S. 14 f
Achim Sommer, Malerische Blitze, in: Michael Ramsauer, Ausstellungskatalog, (Hrsg.) Kulturstiftung
der Öffentlichen Versicherungen Oldenburg, Oldenburg 2004, s. p.